03.05.2022 - Der FDP-Bundestagsabgeordnete Pascal Kober aus Reutlingen war Gast beim jüngsten „Liberalen Forum“
Der Zusammenbruch der Sowjetunion 1989 sei damals interpretiert worden als Beginn eines ewigen Friedens. Kober erwähnte das damals erschienene Buch vom „Ende der Geschichte“ von Francis Fukuyama. Diese Vorstellung war so nachhaltig, dass die Signale Grosny, Georgien, Donbass, Aleppo oder Krim nicht in der richtigen Weise wahrgenommen worden seien. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner habe dies mit den Worten „Die Geschichte ist Gegenwart geworden“ umschrieben.
Es war womöglich Wunschdenken, dass „Russland uns doch nahesteht“. Damit diese Nähe gefestigt wird, habe man gemäß dem Grundsatz „Wandel durch Handel“ die Wirtschaftsbeziehungen durch den zunehmenden Bezug von Energie ausgebaut. Wie sich heute herausstellt, war dies ein verhängnisvoller Fehler.
Bürokratische Monster
Im Zuge der Ausrichtung der Bundeswehr auf Auslandseinsätze in Krisengebieten in aller Welt vergaß man ihre ursprüngliche Aufgabe, nämlich die Landesverteidigung. Lieber habe man die Bundeswehr zur Coronabekämpfung eingesetzt. Darüber hinaus seien einige Einrichtungen der Bundeswehr, so etwa das Beschaffungsamt in Koblenz, zu bürokratischen Monstern geworden, die sich gegenseitig blockierten.
Kober erläuterte die Komplexität der Beschaffung an dem Beispiel des Standardgewehrs für die Bundeswehr. Vor zehn Jahren sei die politische Entscheidung gefallen, eine neue Waffe zu beschaffen. Die Ausschreibung und Entscheidung durch das Beschaffungsamt werde seit über sieben Jahren durch die beiden deutschen Anbieter vor Gerichtangefochten. Seitdem sei kein Gewehr gebaut, geschweige denn eines an die Truppe ausgeliefert worden.
Schlechte Koordination
Leider könne auch von einer Koordinierung der europäischen Verteidigungspolitik noch nicht gesprochen werden. So seien die Vorstellungen Frankreichs und Deutschland noch weit entfernt von einer Harmonisierung der Waffentechnik. Die Tradition habe offensichtlich einen langen Schatten.
Die nun zur Verfügung gestellten 100 Milliarden Euro seien laut Kober knapp berechnet für die notwendige Ertüchtigung der Bundeswehr. Allein die Aufstockung der Munition auf den Verteidigungsvorrat für gepanzerte Gefechtsfahrzeuge, Kampfhubschrauber und Jagdflugzeuge, der Ersatz für den Jagdbomber Tornado und schweren Hubschrauber, der Aufbau eines Raketenabwehr-Schutzschirmes sowie der Aufbau einer Flugabwehr für das Deutsche Heer würden diese Summe sprengen. Zum Ukraine-Krieg meinte Kober, dass sich Russland offenbar verspekuliert hat. Zu zahlreichen eigenen Fehlern sei die Unterschätzung der ukrainischen Kampfmoral gekommen.
Westen unterschätzt
Unterschätzt habe Russland auch die Unterstützung der Ukraine durch den Westen im Hinblick auf Waffenlieferungen, aber vor allem auf die militärisch wichtigen Informationen der westlichen Geheimdienste, die Gespräche mithörten, Truppenbewegungen beobachteten usw. Dennoch sei es möglich, dass der Krieg noch länger andauern könne, indem sich die Kriegsparteien „festbeißen“. Dass die NATO im Verlauf in den Krieg involviert wird, wenn auch marginal, schließt Kober nicht ganz aus. Allerdings würden dann ganzsicher Deeskalationsmechanismen greifen, denen sich auch Putin nicht verschließen könne. Allerdings: irrationales Handeln könne nie ausgeschlossen werden. Eine lebhafte Diskussion rundete den hochinformativen Abend ab.